Obwohl die Grosstadt als einleuchtender, unvermeidlicher Eroberer der Moderne bezeichnet worden ist und ihr Weg sich schon als irreversibel, sich fur die Menschen als Konstitutiv zeigt, muss man auch die Tatsache berucksichtigen, dass zu diesem Wendepunkt der Zivilisation die Grosstadt noch in keiner endgultigen, finiten Form existiert. Obwohl sie schon existiert, entsteht sie zugleich. Sie ist eher noch in ihrer Entwicklung, in ihrem Werden begriffen. Sie wirkt zunachst als schockierende Erscheinung, die sich zum grossten Teil unerwartet und unerklarlich in dem bisherigen, gemutlichen Leben der Menschen durchsetzt. Die Grosstadt wirkt also ausserst agressiv auf diese mit der Weltordnung und deren Sinn vertraute Psychologie, so agressiv und diskretionar (wie sich so viele Autoren der Moderne klagen), dass einem keine Zeit mehr zum Distanzieren, Analysieren, eventuell Verstehen bleibt.
Was die Grosstadtreflexion in der Moderne betrifft, markiert Georg Simmels These (in seinem Aufsatz - Die Gross-Stadte und das Geistesleben, 1903) einen Umschlagpunkt in mehrfacher Hinsicht.
Simmel bezeichnet die Grosstadt als Ort der Moderne oder, wie Lothar Muller (13) sagen wurdel, ist jede Mythologie Topographie, und wenn es eine Mythologie der Moderne gibt, so ist der Ort, von dem sie erzahlt und an den sie gebunden ist, die Grosstadt. Fur Simmel quellen die tiefsten Probleme des modernen Lebens aus dem Anspruch des Individuums, die Selbstandigkeit und Eigenart seines Daseins gegen die Ubermachte der Gesellschaft, des geschichtlich Ererbten, der ausserlichen Kultur und Technik des Lebens zu bewahren - Die Umgestaltung des Kampfes mit der Natur, den der primitive Mensch um seine leibliche Existenz zu fuhren hat (14). Die psychologische Grundlage, auf der der Typus grosstadtischer Individualitat sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel ausserer und innerer Eindrucke hervorgeht. Der Mensch ist, so Simmel, ein Unterschiedswesen, d. h. sein Bewusstseun wird durch den Unterschied des augenblicklichen Eindrucks gegen den vorhergehenden angeregt; beharrende Eindrucke, Geringfugigkeit ihrer Differenzen, gewohnte Regelmassigkeit ihres Ablaufs ind uhrer Gegensatze verbrauchen sozusagen weniger Bewusstsein als die Rasche Zusammendrangung wechselnder Bilder, der schroffe Abstand innerhalb dessen, was man mit einem Blick umfasst, die Unerwartheit sich aufdrangender Impressionen.
Indem die Grosstadt gerade diese psychologische Bedingungen schafft - mit jedem Gang uber die Strasse, mit dem Tempo und den Mannigfaltigkeiten des wirtschaftlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Lebens -, stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben, mit dem langsameren, gewohnteren, gleichmassiger fliessenden Rhythmus ihressinnlich-geistigen Lebensbildes.
Es gibt in Simmels Vorstellung der Moderne kein Jenseits der Grosstadt, keinen Ort, der ihr als das ...
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